
«Eine gewisse Lebenserfahrung ist als Pflegeperson hilfreich.»
Im Kloster entdeckte Marie-Louise Lüthi ihre Passion für den Beruf der Pflege. An Lebenserfahrung mangelt es der 97-Jährigen nicht. Heute ist sie im Viva Luzern Staffelnhof zu Hause, wo sie vor knapp fünfzig Jahren selbst Bewohnerinnen und Bewohner betreute und pflegte.
Früher in der Pflege tätig, nimmt Marie-Louise Lüthi (97) heute selber Unterstützung in Anspruch. Im Restaurant Aquarello im Viva Luzern Staffelnhof wirft sie einen Blick zurück und vergleicht die Pflege aus ihrer beruflichen Vergangenheit mit der heutigen.
Frau Lüthi, was hatte Sie dazu bewogen, einen Pflegeberuf auszuüben?
Ich lebte früher in einem Kloster und verantwortete dort die Pflege. Schnell spürte ich, dass das mein Metier war, und ich wusste, dass ich auch ausserhalb des Klosters weiterhin in der Pflege bleiben wollte. Ich war bereits 40 Jahre alt, als ich die Lehre in der Psychiatrie in Zürich begann. Im Anschluss hätten wir eigentlich ein Praktikum absolvieren müssen. Da zu dieser Zeit unsere Mutter erkrankte, erlaubte mir der Lehrbetrieb, sie zu Hause zu pflegen. Später habe ich gehört, dass hier im damals neu eröffneten Staffelnhof eine Stelle frei sei. Ich bewarb mich als Pflegerin im Wohnheim. Da ich schon 50 Jahre alt war, wollte ich mich unbedingt persönlich vorstellen – die mussten doch wissen, dass ich nicht «so eine alte Trucke» war.
Wenn Sie heute nochmals vor der Berufswahl stehen würden, würden Sie sich wieder für die Pflege entscheiden?
Ja! Und das aus Überzeugung. Mir gefällt es, für die Menschen da zu sein und ihnen helfen zu können. Im Vergleich zu einem akuten Aufenthalt in einem Spital steht der emotionale Umgang in der Pflege mehr im Vordergrund als die medizinischen Fakten. Mir persönlich ist es immer leichtgefallen, den Bewohnenden vertrauenswürdig zu zeigen, dass ich für sie da bin. Nach meiner beruflichen Tätigkeit wurde mir bewusst, wie viel Vertrauen mir seitens der Betriebsleitung geschenkt wurde.
Was hat sich in der Pflege verändert, wenn Sie sich an Ihre eigene Pflegearbeit zurückerinnern?
Was mir am meisten auffällt: Das Personal verbringt sehr viel Zeit am Computer. Früher hielten wir alles von Hand auf einem Blatt Papier fest, erfassten die Diagnosen und die von den Ärzten verschriebenen Medikamente. Heute scheint mir die Arbeit in der Pflege komplizierter. Ich bin mir nicht sicher, ob die Digitalisierung eine gute Entwicklung ist. Ich befürchte, dass damit weniger Zeit für die persönliche Betreuung zur Verfügung steht. Mir scheint es einfach wichtig, dass die Pflege eine gesunde Balance zwischen dem persönlichen Kontakt mit den Bewohnenden und den digitalisierten Prozessen im Betrieb findet. Die Pflegenden sind aber immer sehr nett, das muss ich sagen.
Welche Voraussetzungen muss eine gute Pflegeperson mitbringen?
Man muss Gutes tun wollen und den Menschen an erster Stelle setzen. Zudem glaube ich, dass eine gewisse Lebenserfahrung hilfreich ist, um die Empathie für unterschiedliche Menschen zu entwickeln und auf deren Bedürfnisse eingehen zu können. Betagte Menschen erleben eine grosse Veränderung im Leben und haben unterschiedlichste Ansprüche. Jüngere Menschen müssen das richtige Gespür für die Bewohnenden und deren Pflege zuerst aufbauen.
Besonders der Umgang mit der Intimpflege ist herausfordernd. Ältere Menschen haben ein Schamgefühl, das hohe Sensibilität verlangt. Wir lernten damals, die Bewohnenden zu waschen und danach sofort wieder zuzudecken. Ich kenne die Geschichte einer Bewohnerin hier: Bei ihrem Einzug war sie gegenüber der Pflege sehr fordernd und verweigerte die Unterstützung bei der Hygiene im Alltag. So liessen sie zu Beginn die eine oder andere Haarwäsche aus und tasteten sich Schritt für Schritt vor. Mit der Zeit erlaubte die Bewohnerin mehr Nähe und liess sich von der Pflege immer mehr helfen. Da bewies das Personal viel Fingerspitzengefühl.

Wie fühlt es sich für eine ehemalige Pflegefachfrau wie Sie an, selber Pflege anzunehmen?
Heute lebe ich selbstbestimmt und benötige noch nicht so viel Hilfe. Das Pflegepersonal hilft mir bloss beim Ausziehen der Strümpfe. Aber wenn ich die Unterstützung für andere Bewohnende beobachte, beschäftigt mich das schon. Als ehemalige Pflegerin sehe ich viel, was andere nicht sehen. Wie werde ich selber einmal sein, wen ich Hilfe annehmen muss? Bei diesen Gedanken kriege ich ein mulmiges Gefühl. Aber ich kann es ja nicht ändern. Man ist dann schon froh, Unterstützung und Betreuung zu erhalten.
Wie haben sich die Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner im Laufe der Zeit verändert?
Früher hatten wir im ganzen Wohnheim nur eine an Demenz erkrankte Person. Heute ist das anders. Ich denke, das ist darauf zurückzuführen, dass die Menschen erst im höheren Alter hierherkommen. Im Hinblick auf die Privatsphäre werden sich die Ansprüche auch in Zukunft verändern. Die eigene Dusche im Zimmer – wie wir sie heute im gesamten Haus haben – wird selbstverständlich sein.
Wie wichtig ist Ihnen der Beziehungsaufbau zwischen den Bewohnenden und der Pflege?
Als Pflegemitarbeiterin lernte ich zuzuhören, freundlich zu sein und nicht gleich zu kontern. Darauf lege ich sehr viel Wert. Eine gute Beziehung mit dem Pflegepersonal basiert auf Vertrauen. Mit den einen oder anderen habe ich eine tiefere Bindung. Wie ich das herausfinde? Das sind meine langjährige Erfahrung und mein Gespür.
Zur Person
Marie-Louise Lüthi ist mit fünf Schwestern in Langendorf SO aufgewachsen. 1976 zog sie von Berufes wegen nach Luzern. Das im selben Jahr fertiggestellte Betagtenzentrum Staffelnhof wurde ihr Arbeitsort: Sie übernahm die Verantwortung für die Betreuung und Pflege. Selber hatte sie keine Kinder, ist aber so etwas wie «die dritte Grossmutter» für Kinder einer Familie, mit der sie einen sehr engen Kontakt pflegt.